PRO_Service - Geschäftsmodellinnovationen für Leih- und Servicemodelle im produzierenden Gewerbe
Kurzbeschreibung
Dienstleistungssysteme als Lösungsbausteine für eine Kreislaufwirtschaft
In Österreich entfallen etwa 70% des nationalen Material-Fußabdrucks und etwa 60% des CO2-Fußabdrucks auf das produzierende Gewerbe (Eisenmenger et al., 2020), weshalb diesem bei der Erreichung der gesetzten Ziele der österreichischen Kreislaufwirtschaftsstrategie eine entscheidende Rolle zukommt. In bestehenden Märkten steht nach wie vor der Verkauf bzw. Kauf von Produkten im Zentrum. Die daraus resultierenden Anreize zur Steigerung des Produktionsvolumens stehen der Erreichung der Ziele klar entgegen.
Dienstleistungssysteme wie Mietmodelle oder Sharing-Angebote orientieren sich demgegenüber an der Erfüllung von konkreten Funktionen oder Bedürfnissen anstelle des Verkaufs von Produkten. Damit können sie die erforderlichen Anreize für Unternehmen schaffen, kreislauffähige Produkte zu entwickeln und entsprechende Geschäftsmodelle, die wirtschaftlichen Erfolg mit einer Reduktion des Produktvolumens und somit Materialverbrauchs vereinbaren, zu realisieren.
Inhalte und Methodik
Das vorliegende Projekt definiert die ökonomischen und ökologischen Bedingungen unter denen kreislauforientierte Dienstleistungssysteme besonders aussichtsreich sind und leitet auf Basis einer Analyse der Literatur und der Herausforderungen von produzierenden Unternehmen den Forschungs- und Entwicklungs- (F&E-)bedarf zur Realisierung von kreislauforientierten Dienstleistungssystemen ab. Die Analyse berücksichtigt den F&E-Bedarf auf drei Ebenen:
- Produkt- und Dienstleistungsinnovationen,
- Geschäftsmodellinnovationen und
- Marktsysteminnovationen.
Zusammenfassend wurden daraus entlang der Interventionsbereiche der nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie mögliche Handlungsoptionen für die öffentliche Hand abgeleitet.
Die Ergebnisse basieren auf einer umfangreichen Auswertung von wissenschaftlichen Publikationen und Sekundärstatistiken sowie von Primärdaten aus einem Workshop und 36 Interviews mit Expert:innen aus Wissenschaft, produzierenden Unternehmen, Politik und Interessensvertretungen.
Status quo und Entwicklung im produzierenden Gewerbe
Dienstleistungen machen in Österreich etwa 10-13% des Umsatzes von produzierenden Unternehmen aus (Dachs et al., 2013; Friesenbichler & Kügler, 2022). Das Dienstleistungsangebot konzentriert sich noch weitgehend auf produktorientierte Leistungen wie Beratung, Ersatzteillieferung, Reparaturen und Wartung. Umfangreichere, an der Nutzung oder an Ergebnissen orientierte Dienstleistungen wie Leasing oder Vermietung werden nur von einer Minderheit der produzierenden Unternehmen angeboten (Dachs et al., 2013; Mastrogiacomo et al., 2019; Neely, 2011; Pezzotta et al., 2022).
Im internationalen Vergleich beruht die Wettbewerbsfähigkeit des produzierenden Gewerbes in Österreich vorrangig auf dem technologischen Vorsprung in der Herstellung von komplexen Produkten und einer hohen Arbeitsproduktivität. In den Vereinigten Staaten, Großbritannien oder auch in den skandinavischen Ländern ist der Dienstleistungsgrad wesentlich höher (Friesenbichler & Kügler, 2022).
Geeignete Produktionsbereiche für die Anwendung von kreislauforientierten Dienstleistungssystemen
Dienstleistungssysteme tragen nicht automatisch zu einer Reduktion des Ressourcenverbrauchs bei. Um positive Beiträge zu gewährleisten, müssen Dienstleistungssysteme nach kreislaufwirtschaftlichen Prinzipien umgesetzt und nicht intendierte Folgeeffekte unterbunden werden.
Kreislauforientierte Dienstleistungssysteme sind als Lösungsbausteine für eine Kreislaufwirtschaft am geeignetsten für Produkte und Produktionsanlagen, die eine hohe Entwicklungsdynamik aufweisen, mit hohen Risiken verbunden sind, leicht reparier- und transportierbar sind, einen hohen Ressourcenverbrauch in der Nutzung aufweisen sowie eine geringe Auslastung und Lebensdauer aufweisen. Kreislauforientierte Dienstleistungssysteme können einen niederschwelligen und risikoärmeren Zugang zu ressourceneffizienten Technologien schaffen und Unternehmen im Kompetenzaufbau im Umgang mit neuen Technologien unterstützen. Damit eignen sie sich besonders gut als Finanzierungsinstrumente bzw. Akzeleratoren für technologie-basierte Transformationsprozesse in Unternehmen.
In Hinblick auf das produzierende Gewerbe in Österreich bieten aus ökonomischer Sicht insbesondere der Bausektor sowie der Sektor Metallerzeugung Potentiale. Aus ökologischer Sicht sind besonders die Sektoren Metallerzeugung und „Papier und Druck" aufgrund ihres hohen Energiebedarfs hervorzuheben.
Diese sind darüber hinaus gemeinsam mit den Sektoren „Chemie und Petrochemie" und „Steine, Erden und Glas" für einen großen Anteil der ausgestoßenen Treibhausgase verantwortlich sind. Auch der Frischwasserverbrauch bzw. das anfallende Abwasser des Sektors „Metallerzeugung" ist besonders hoch. Der Einsatz an erneuerbaren Energien ist gering im produzierenden Bereich.
Potential zur direkten Umstellung auf erneuerbare Energien besteht insbesondere bei der Versorgung von Prozesswärme unter 200°C, die vor allem in den Bereichen „Chemie und Petrochemie", Lebensmittel und „Papier und Druck" einen maßgeblichen Anteil am Prozesswärmebedarf ausmacht.
Eine Analyse aller Sektoren und deren Prozesse hat gezeigt, dass sich im produzierenden Gewerbe entlang der Produktionsbereiche Reinigung von Maschinen und Anlagen, Betrieb von Maschinen und Anlagen, Energieversorgung, Wasser- und Abwasserentsorgung, Chemikalienbasierte Versorgung, Mobilität und Recycling-Bedarfsfelder für die Entwicklung von Dienstleistungssystemen sowohl aus ökonomischer und ökologischer Sicht eignen. Da sich diese Prozesse in den meisten Sektoren des produzierenden Gewerbes wiederfinden, bieten sie erhebliche Potentiale für die Anwendung von diversen kreislaufwirtschaftlichen Dienstleistungssystemen.
Forschungs- und Entwicklungsbedarf
Aufgrund der hohen Anforderungen sind kreislauforientierte Dienstleistungssysteme derzeit nur in Nischensegmenten interessant. Produkt- und Dienstleistungsinnovationen sind von wesentlicher Bedeutung, um die Attraktivität solcher Systeme für weitere Anwendungsfelder zu erhöhen. Besonders großer Bedarf besteht in der Weiterentwicklung von digitalen Infrastrukturen, smarten und modularen Produkten, neuen Formen der Kollaboration sowie von geeigneten Methoden für ein kreislauforientiertes Design von Dienstleistungssystemen.
Geschäftsmodellinnovationen sind sowohl auf strategischer wie operativer Ebene erforderlich, um produzierende Unternehmen im Übergang und in der Implementierung von kreislauforientierten Dienstleistungssystemen zu unterstützen. Es bedarf besserer Werkzeuge für Unternehmen, um geeignete Geschäftsmodelle identifizieren und konzipieren zu können sowie diese laufend hinsichtlich ihrer betriebswirtschaftlichen und ökologischen Performance zu bewerten.
Weiters mangelt es noch an geeigneten Werkzeugen auf einer organisatorischen Ebene, um die Transformationsprozesse in Richtung dienstleistungsorientierter Unternehmen gestalten zu können.
Auf kreislauforientierten Dienstleistungsmodellen basierende Geschäftsmodelle stehen teilweise in Konflikt mit bestehenden marktwirtschaftlichen Rahmenbedingungen.
Marktsysteminnovationen sind erforderlich, um einerseits die Wettbewerbsbedingungen für Anbieter:innen von kreislauforientierten Dienstleistungssystemen zu verbessern und andererseits die Konformität mit bestehenden Regulatorien in Bereichen wie dem Wettbewerbsrecht und dem Datenschutz zu gewährleisten.
Handlungsoptionen
Dienstleistungssysteme sind ein Querschnittsbereich, der zu allen Zielen der FTI-Initiative Kreislaufwirtschaft der Bundesregierung beitragen kann. Ein öffentlicher Auftrag zur Förderung kreislauforientierter Dienstleistungssysteme lässt sich mit standortpolitischen Erwägungen, Versorgungssicherheit und ökologischen Vorteilen begründen, gilt aber aufgrund möglicher Einschränkungen unterschiedlicher Rechte und negativer Umweltwirkungen nicht uneingeschränkt. Die Konformität mit dem Wettbewerbsrecht, Konsument:innenschutzrecht, Datenschutzrecht und kreislaufwirtschaftlichen Prinzipien sollte daher stets geprüft und berücksichtigt werden.
Kreislauforientierte Dienstleistungssysteme beruhen auf einem Innovationsregime, das sich teils radikal vom bestehenden Fokus des österreichischen produzierenden Gewerbes auf die Entwicklung neuer, aber standardisierter und skalierbarer Produkte unterscheidet. Eine konsequente Dienstleistungslogik bedarf daher an sehr viel gedanklicher Einarbeitung, eine neue Perspektive anlernen.
Die Implikationen einer stärkeren Dienstleistungsorientierung für den österreichischen Wirtschaftsstandort wurden auf einer strategischen Ebene bisher kaum thematisiert. Um einen geeigneten wirtschafts- und innovationspolitischen Rahmen für produzierende Unternehmen definieren zu können, wird daher zunächst eine intensivere Auseinandersetzung auf einer strategischen Ebene im Rahmen der Ausarbeitung der nationalen Standortstrategie und Umsetzung der Kreislaufwirtschaftsstrategie angeregt.
Unter den politischen Maßnahmen für die Förderung einer Kreislaufwirtschaft sind für kreislauforientierte Dienstleistungssysteme insbesondere eine Ausdehnung der Produzent:innenverantwortung und eine steuerliche Entlastung von Arbeit gegenüber der Verwendung von natürlichen Ressourcen bedeutsam. Darüber hinaus kann auf diverse politische Instrumente von unmittelbarer Relevanz für die Unterstützung von kreislauforientierten Dienstleistungssystemen zurückgegriffen werden.
Im Bereich der öffentlichen Forschungsförderung bedarf es zum einen eines Übergangs von einer „Technologieoffenheit" zu einer „Lösungsoffenheit", wodurch die Entwicklung innovativer Lösungen anstelle von Produkten in den Vordergrund gestellt wird. Zum anderen bestehen noch inhaltliche Lücken in der thematischen Forschungsförderung, die geschlossen werden müssten, um die Entwicklung kreislauforientierter Dienstleistungssysteme zu fördern.
Für die Transformation zu einer Kreislaufwirtschaft ist auch privates Kapital erforderlich. Kreislauforientierte Dienstleistungssysteme bilden ein interessantes Finanzierungsinstrument, das gegenüber anderen Instrumenten wie Krediten noch wenig Beachtung findet. Damit einerseits die hohen Investitionshürden für Anbieter:innen gesenkt und andererseits die Attraktivität des Instruments in der Anschaffung gesteigert werden kann, bedarf es sowohl angebots- sowie nachfragebasierter Maßnahmen.
Quellen:
- Dachs, B., Biege, S., Borowiecki, M., Lay, G., Jäger, A., & Schartinger, D. (2013). Servitization in European manufacturing industries: Empirical evidence from a large-scale database. The Service Industries Journal.
- Eisenmenger, N., Plank, B., Milota, E., & Gierlinger, S. (2020). Ressourcennutzung in Österreich 2020. Band 3. Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK).
- Friesenbichler, K. S., & Kügler, A. (2022). Servitization across countries and sectors: Evidence from world input-output data. Economic Systems, 46(3), 101014.
- Mastrogiacomo, L., Barravecchia, F., & Franceschini, F. (2019). A worldwide survey on manufacturing servitization. The International Journal of Advanced Manufacturing Technology, 103(9), 3927–3942.
- Neely, A. (2011). The Servitization of Manufacturing: A Longitudinal Study of Global Trends.
- Pezzotta, G., Arioli, V., Adrodegari, F., Rapaccini, M., Saccani, N., Rakic, S., Marjanovic, U., West, S., Stoll, O., Meierhofer, J., Holst, L., Wiesner, S. A., Bertoni, M., Romero, D., Pirola, F., Sala, R., & Gaiardelli, P. (2022). Digital Servitization in the Manufacturing Sector: Survey Preliminary Results. In D. Y. Kim, G. von Cieminski, & D. Romero (Eds.), Advances in Production Management Systems. Smart Manufacturing and Logistics Systems: Turning Ideas into Action (pp. 310–320). Springer Nature Switzerland.
Publikationen
Kreislauforientierte Dienstleistungssysteme für das produzierende Gewerbe (PRO_Service) - Forschungs- und Entwicklungsbedarf im Übergang von Produkten zu integrierten Systemlösungen für die Kreislaufwirtschaft
Das Projekt soll zu einem besseren Verständnis der ökonomischen und ökologischen Potenziale einer Umsetzung von Leih- und Servicemodellen im produzierenden Gewerbe in Österreich beitragen und aufzeigen, welche Veränderungen und F&E-Leistungen notwendig sind, damit diese durch geeignete Geschäftsmodelle realisiert werden können.
Schriftenreihe
34/2023
H. Wieser, K. Bachinger, J. Fluch, S. Meitz, T. Oberholzner, J. Reiter
Herausgeber: BMK
Deutsch, 106 Seiten
Downloads zur Publikation
Projektbeteiligte
Projektleitung
DI Sarah Meitz, AEE – Institut für Nachhaltige Technologien
Projekt- bzw. Kooperationspartner:innen
KMU Forschung Austria
Kontaktadresse
AEE - Institut für Nachhaltige Technologien
Feldgasse 19
A-8200 Gleisdorf
Tel.: +43 (3112) 5886-451
E-Mail: s.meitz@aee.at
Web: www.aee-intec.at